Premierminister Juncker erhielt den Gutedelpreis – Euro-Gruppenchef fühlte sich hier wohl
Neuenburg am Rhein wurde mit dem Besuch des luxemburgischen Premierministers und Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker als europäische Brückenstadt geadelt. Als Gast der Markgräfler Gutedelgesellschaft, die ihm dieses Jahr den Gutedelpreis 2012 verlieh, fühlte er sich in der Zähringerstadt sehr wohl. Vor der Preisverleihung trug er sich noch in das Goldene Buch der Stadt ein. Der Eintrag war so bemerkenswert wie die Person selbst: Der Premierminister schrieb als persönliche Widmung: „Ich bin gerne hier. Drohung: Ich komme wieder.“ Dass das im Bereich des Möglichen liegt, verriet er später an anderer Stelle. Beim Interview mit seinem Laudator Christoph Wirtz ließ er durchblicken, dass er öfters im südbadischen Raum – meist ganz privat mit seiner Gattin – weilt. In den nächsten Monaten könnte er auch deutlich mehr Zeit für sein Privatleben erhalten, nachdem er im Laufe des Jahres seine Ämter abgeben möchte, wie er auf der Bühne des Stadthauses verriet. Durchaus mit viel Humor, ganz locker in der Wortwahl – er fühlte sich sichtlich wohl im Kreise der illustren Gästeschar – beantwortete Jean-Claude Juncker die Fragen seines Gegenübers, der schon zu Beginn der Preisverleihung mit durchaus launischen Worten den Premierminister vorstellte, seine Verdienste würdigte und doch einiges über den „Pro-Kopf-Weinverbrauch der Luxemburger“ zu berichten wusste. Der liegt nämlich mit 50 Liter pro Kopf und Jahr deutlich an der Spitze des europäischen Weinkonsums – noch weit vor den Spaniern, Franzosen, Italienern und Deutschen. Deshalb stellte Wirtz auch gleich fest, dass die 300 Flaschen auserlesenen Gutedels des Jahrgangs 2011 mit einem Gesamtvolumen von 225 Litern wohl im Keller des Premierministers nicht allzu lange halten werde. Jean-Claude Juncker lachte, ein Widerspruch kam indes nicht. „Gutedel in dieser beruhigenden Menge ist aus Markgräfler Sicht Grundvoraussetzung für eine zufriedene Lebensführung“, sagte der Vorsitzende der Gutedelgesellschaft und Erzeuger des Preisweines, Hermann Dörflinger. Denkt man wieder an den Pro-Kopf-Verbrauch, ist’s allerdings bald mit dem Markgräfler Elixier wieder Essig. „Wein wird die Eurokrise nicht lösen, aber er macht sie erträglicher“, wusste Hermann Dörflinger als weisen Ratschlag an die Adresse des überzeugten Europa-Managers zu geben. Die lockere Stimmung hatte sich auch auf den luxemburgischen Premierminister übertragen. „Wir sind hier weit weg von Berlin“, sagte er mit einem kräftigen Lächeln auf den Lippen. Und er lobte Baden-Württemberg als einen der wertvollsten Landesteile Deutschlands, besonders Südbaden und natürlich das Markgräflerland, wo es Menschen mit gesundem Menschenverstand in konzentrierter Form gebe. Das kam dem überzeugten Kämpfer für das geeinte Europa gerade zupass. Und so fielen einige seiner Aussagen zur derzeitigen Situation, zu den „Machern Europas“ – hier waren Bundeskanzlerin Merkel und die französischen Staatsoberhäupter – und zu Griechenland manchmal mit Humor garniert, für einen Politiker und Diplomaten ungewöhnlich direkt aus. „Ich glaube, der kreative Eigensinn ist die Eigenschaft an mir, die die Bundeskanzlerin an mir am wenigsten schätzt“, stellte er süffisant fest. Natürlich verbinde ihn durchaus ein gutes Verhältnis mit Angela Merkel, beruhigte er wieder.Und doch sieht er die Rolle der Bundeskanzlerin im europäischen Geschehen, besonders bei der Euro-Krise, kritisch, wie er unmissverständlich deutlich machte. Wie in Deutschland, vor allen Dingen in der Politik über Griechenland geredet werde, könne er nicht gutheißen.
Da war das Thema, auf das vermutlich viele angesichts der Regierungskrise und der drohenden Pleite gewartet hatten. Da wurde er auch sichtlich ernster und wählte die Worte wohl überlegt und sehr
scharf. „Die Leidtragenden der Krise sind die einfachen Griechen, die die Situation nicht verschuldet haben“, sagte er deutlich. Aber er differenzierte auch, kritisiert die hellenischen Reiche und Politiker, die die Wirtschaft, das Steuergefüge und die Staatseinnahmen an die Wand gefahren hätten.
Ein weiteres Thema, bei dem er nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch den neuen französischen Staatspräsidenten aufs Korn genommen hat und mit der Größe seines „Zwergstaates Luxemburg“ kokettierte: „Es gibt keine großen Staaten in Europa. Die Machtgewichte in der Welt verschieben sich längst.“ Tatsächlich spielt nach Ansicht Junckers das alte Europa bei weitem nicht mehr die Rolle, in die deutsche, britische und französische Staatschefs so gerne schlüpfen wollen. Die Kopfzahlen sinken kontinuierlich, während andernorts auf dem Globus – gemeint waren beispielsweise China und Indien – immer mehr Menschen leben. „Wir müssen in Europa wieder mehr zusammenrücken, wenn wir wieder mehr Einfluss haben wollen“, appellierte Juncker an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Viel Applaus – den gab es übrigens nach jeder Aussage Junckers – erntete der fast 58-jährige Luxemburger auch zu seiner Aussage zu Finanzspekulationen. „Ich habe keine Aktien, ich besitze ein einfaches Sparbuch“, sagte der Euro- Gruppenchef deutlich. Ohne große Worte machte er deutlich, für wie gefährlich er die Spekulationsgeschäfte hält. Und: Würde er welche halten und sie bei einem Kursgewinn verkaufen, dann würden ihn bestimmt viele lukrativer Insi¬dergeschäfte bezichtigen.
Deutlich wurde für alle Gäste der Preisverleihung, dass Jean-Claude Juncker nicht nur viel über Europa redet, sondern ein feuriger Verfechter ist. Da schert es ihn wenig, wenn er manchen Staatschefs und Politikern wegen seiner deutlichen Worte als unbequem auffällt. Klare Worte, Authenzität und Engagement machen den luxemburgischen Staatschef glaubwürdig und lassen weiterhin auf ein starkes, gemeinsames Europa hoffen. Für dieses außergewöhnliche Engagement gab es für Jean-Claude Juncker den Gutedelpreis. Eine ausgezeichnete Wahl der Gutedelgesellschaft. Applaus! mps