Historisch bedeutsame Ausgrabung am Zipperplatz
NEUENBURG AM RHEIN (fl) Die „Unterwelt“ von Neuenburg am Rhein bietet wieder einmal neue und spannende Einblicke in die bewegte Vergangenheit der Zähringerstadt
Im Rahmen einer sogenannten Rettungsgrabung am etwa 2000 Quadratmeter umfassenden Zipperplatz stieß man auf die mittelalterlichen Überreste einer umfangreichen Bebauung, und zwar überraschenderweise direkt unterhalb des Pflasters. Am vergangenen Donnerstag fand eine Führung über das Grabungsgelände statt, die von der Stadt, dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und der Grabungsfirma e&b excav organisiert worden war. Trotz des strömenden Regens hatten sich zahlreiche Besucherinnen und Besucher eingefunden.
Immer wiederkehrende Hochwasser zwischen den Jahren 1480 und 1525 hatten das Kiesplateau, auf dem die Stadt erbaut worden war, in diesem Gebiet abbrechen lassen. Diese sich wiederholenden Naturkatastrophen hatten zur Folge, dass ein Drittel der Stadt im Rhein versunken war, auch das prächtige mittelalterliche Münster.
Das Ziel des Grabungsprojektes, so Geschäftsführer Horst Esslinger von e&b excav, habe darin bestanden, mittels der archäologischen Befunde einen wichtigen Teil der Neuenburger Stadtgeschichte zu dokumentieren und auch künftigen Generationen zugänglich zu machen. Dr. Bertram Jenisch vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und Archäologe Stephan Kaltwasser informierten die Besucher über die Details der Grabung und die im Verlauf der Arbeiten aufgetauchten Keramikfundstücke.
Neuenburg am Rhein war schon im Mittelalter eine blühende, wohlhabende Stadt, führte Dr. Jenisch aus. Das Grabungsareal, das direkt an den Standort des ehemaligen Münsters grenzt, belegt dies in vielerlei Hinsicht. So sind die freigelegten Kellerbereiche allesamt mit Materialien von ausgezeichneter Qualität ausgebaut worden. Die Backsteine wurden in einem komplizierten Fischgrätmuster angeordnet.
Deutlich zu sehen sind auch hochwertige Bodenfliesen und eine Reihe bogenförmiger Lichtnischen in einem ehemaligen Weinkeller. In diesen Nischen brannten Kerzen oder Öllampen. Drohten diese zu erlöschen, war das ein Warnsignal dafür, dass lebensgefährliche Gärgase entstanden waren und der Keller schleunigst verlassen werden musste. Freigelegt wurden außerdem ein Backofen aus dem Spätmittelalter sowie Reste von Gerbergruben. Es gibt auch bauliche Hinweise auf eine doppelte Unterkellerung zur Straßenseite hin sowie auf einen Vorkeller im Hofbereich.
Ein sogenannter Konsol-Stein diente zur Auflage eines Balkens, um eine Zwischendecke zum Erdgeschoss hin abzustützen. Die Gebäude, die auf diesen Fundamenten standen, waren mehrgeschossige Steinhäuser, was auf einen wohlhabenden Stadtbereich hindeutet.
Die wichtigsten und bemerkenswertesten Funde sind eine provisorische Stadtmauer sowie die Überreste eines kleinen Wehrturmes.
Die Stadtmauer einer mittelalterlichen Siedlung war, wie Dr. Jenisch betonte, nicht nur eine Anlage zu Verteidigung, sondern auch eine Grenze zwischen unterschiedlichen Rechtsbezirken. Da der Rhein im Zuge der verheerenden Überschwemmungen auch Teile der Stadtmauer fortgerissen hatte, war an dieser Stelle also sowohl die Verteidigungslinie als auch die Rechtsgrenze unterbrochen. Wohl hauptsächlich, um diesen Mangel zu beseitigen, erbauten die Bürger der Stadt ein Mauer-Provisorium. Die so entstandene Mauer ist wesentlich weniger dick und stark als die Reste der Stadtmauer, die an der Ölstraße freigelegt wurden. Auf jeden Fall ist es ein Beweis dafür, wie praktisch die Menschen damals auf die vom Fluss verursachten Naturkatastrophen reagiert haben.
Die Grabungsarbeit, so Horst Esslinger, bedient sich auch heute noch der traditionellen Werkzeuge wie Bagger, Spaten, Schaufeln und Hacken. In den letzten Jahren sind jedoch auch digitale Methoden dazu gekommen, wie beispielsweise Drohnen für Fotodokumentationen aus der Luft. Und Dr. Jenisch fügte mit einem Augenzwinkern an: „Archäologie ist kein Zuckerschlecken“, was die Besucher beim Gang durch Matsch und Regen aus erster Hand bestätigen konnten.
Nicht weniger interessant als die Führung über die Grabungsstätte war die Präsentation der Keramikfundstücke durch Stephan Kaltwasser. Keramik, so der erfahrene Experte, war im Mittelalter wie auch heute eine Modesache. Motive, Verzierungen und Farbe wechseln immer wieder mit dem Zeitgeschmack.
Wird ein Keramikstück gefunden, muss es gewaschen, registriert und datiert werden. Die Datierung kann bis auf einen Zeitraum von fünfzig Jahren recht genau bestimmt werden. Die meisten auf der Grabungsstätte am Zipperplatz gefundenen Keramiken stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, doch einige gehen bis auf das Jahr 1300 zurück.
Neben Alltagskeramik wurden auf dem Grabungsgelände auch Überreste von Ofenkacheln und von deren Model gefunden. An einer Reihe von gut erhaltenen Modelfragmenten erläuterte Kaltwasser, wie man sich den Prozess der Herstellung im Mittelalter vorzustellen hat. Ein berühmter Künstler malte ein Motiv, z. B. das Porträt eines Kaisers. Diese Vorlage wurde von einem Kachelzeichner kopiert und dann auf einen hölzernen Model übertragen, der wiederum vervielfältigt wurde. Da sich die Model aber rasch abnutzten, waren sie nach einer gewissen Zeit für den Töpfer unbrauchbar und wurden von diesem zerstört, damit sich kein Konkurrent daran bedienen konnte.
Aus diesem Grund sind die bei Grabungen aufgefundenen Model meist zerbrochen. Zusammen mit den aus früheren Grabungen am Rathausplatz und in der Schlüsselstraße stammenden zeigen die auf der aktuellen Grabungsstätte gefundenen Model, dass es in Neuenburg am Rhein im Mittelalter wenigstens zwei Töpferwerkstätten gab und die Hafner mit ihren Ofenkacheln einen schwunghaften Handel in der ganzen Region betrieben. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Zähringerstadt im Mittelalter ein wichtiges Zentrum auch für Kunst, Handwerk und Kultur war.
Bianca Flier